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Bittersüßes aus Bitterfeld

Mit den "Prinzen" wurde Tobias Künzel zum Popstar. Nun präsentiert er in Leipzig ein Musical – eine East Side Story aus dem Chemie-Revier. Deutschlands berüchtigtster Chemie- Standort im Wandel der Zeiten – diese Story verspricht allenfalls begrenzten Glamour. Was läßt sich schon von Bitterfeld erzählen? Vielleicht von stinkenden Suppen aus dem Chemiekombinat, von Liebe zwischen Plattenbauten, von Mathematik-Olympiade, Jugendweihe und Club Cola – aber ist das der Stoff für ein erfolgreiches Musical?

Tobias Künzel zumindest glaubt daran. Der Leipziger verbreitet als Frontsänger der Spaß- und Singgemeinschaft "Die Prinzen" mit großem Erfolg deutschen Schlager-Frohsinn. Und so hat er nun aus guter Laune, netter Musik und cleverem Geschäftssinn eine Mixtur angerührt, die sich als Wundermittel für den notleidenden Musicalstandort Leipzig erweisen soll.

"Elixier" heißt das Singspiel, das, einstudiert vom Hamburger Regisseur Horst Königstein ("Hard Days, Hard Nights"), am Freitag dieser Woche in der Musikalischen Komödie Leipzig uraufgeführt wird. Eine Rockband musiziert dabei ebenso wie das hauseigene Orchester, und die Choreographin Monika Geppert läßt ihr Ballett-Ensemble hüpfen.

Die Gegenwartshandlung ist in Künzels Werk kontrastiert mit der Ossi-Welt zwei Jahrzehnte zuvor.

Im Bitterfeld des Jahres 1978 ist alles ätzend: die grün-schwarz-gelb gemusterte Polyesterkrawatte, der hellblaue Jeansanzug mit Schlag, die blubbernden Säuren und Laugen im VEB Chemiekombinat, Labor 2. Der junge Chemiker David erfindet ein Elixier, das ewige Jugend und ewigen Ruhm für den Sozialismus verheißt. Doch die Brühe taugt nichts. Sie kann weder Körper noch Kommunismus vor dem Verfall retten. Leider stimmt bald auch zwischen David und der Tänzerin Betti die Chemie nicht mehr, und mit dem alten Gesellschaftssystem ist es ebenfalls nur noch Essig.

Bitterfeld 1998 ätzt erst recht, In der ehemals dreckigsten Stadt Europas machen Wessis eklige Geschäfte. Einstige Stasi- Spitzel nutzen alte Kontakte für neuen Schmutzkram. Auf den Straßen schlurfen Alkoholiker und Arbeitslose. Wende- Gewinnler protzen mit BMW und Handy. Das Zusammenleben ist so vergiftet wie der Bitterfelder Boden, und die Werbung inszeniert eine bessere Welt. Nichts kann die Sehnsucht nach jenem Wässerchen trüben, das nach der 20 Jahre alten Formel immerwährende Schlau- und Schönheit verspricht. Ein Chor säuselt schmuseweich den Slogan: "Elixier – und die Welt gehört dir."

Künzel spielt in "Elixier" eine ganz neue Prinzen-Rolle: den Bösewicht Hagen. In der Rolle eines machtgierigen, hinterlistigen Wissenschaftlers singt er munter von Gift und Galle. "Es ist mir schwergefallen, ein Ekelpaket darzustellen", sagt Künzel – auf der Konzertbühne wird der Mann, dessen A- cappella-Truppe bereits über 4,5 Millionen CDs verkauft hat, gemeinhin mit Plüschtieren beworfen.

Komponist Künzel und Regisseur Königstein besetzten auch die beiden anderen Hauptrollen des Musicals mit deutschen Popsängern. Dirk Darmstaedter, bekannt geworden mit der Hamburger Gruppe The Jeremy Days, ist der Elixier-Erfinder David. Und die Partie der Tänzerin Betti singt Sandra Baschin von der Berliner Formation Sinai.

Zu Künzels Songs arrangierte Prinzen- Kollege Wolfgang Lenk die Musik. So klingt denn auch der Bitterfelder Chemiker-Chorus stark nach Prinzen-Ware, und wenn Künzel als größenwahnsinniger Fiesling auf schwarzen Plateauschuhen vor dem Orchestergraben herumturnt, erinnert das auffallend an die Auftritte der Pop- Chorknaben.

Die Idee, eine Rockoper zu schreiben, "einmal so was wie Jesus Christ Superstar' zu machen", gebar Künzel schon in seiner Teenie-Zeit, als er noch im Leipziger Thomanerchor sang. Anfang der achtziger Jahre begann der Schlagzeug- und Gesangs-Student mit der Vertonung von Goethes "Faust". Das Projekt ging unter – im Erfolg der DDR-Formation "Amor und die Kids", mit der Künzel bereits vor 1989 einige Hits landete.

Nach dem ersten Libretto- Entwurf der Leipziger Autorin Kati Naumann sollte das Stück "Elixier" noch im Niemandsland spielen. Erst der Regisseur Königstein brachte Künzel und Naumann dazu, die Geschichte in der ostdeutschen Industriewüste anzusiedeln – in "Bitterfeld, Arsch der Welt", wie es in einem Song heißt.

"Bitterfeld ist zu einem Synonym für die Tristesse der DDR geworden", sagt Künzel, "außerdem klingt der Name fast poetisch." Die Entscheidung, "Elixier" in Leipzig uraufzuführen, kommt dem Stück zugute. Die Musikalische Komödie verfügt zwar weder über Dreh- noch Hub- bühne; dafür arbeitete ein großer Teil des Ensembles bereits zu DDR-Zeiten am Haus; viele Mitspieler lieferten Kommentare, Anekdoten und Requisiten, die der Regisseur aufgriff.

Das "Elixier" kann zwar kein ewiges Leben verschaffen. Aber es konserviert immerhin das Lebensgefühl der Ostjugend von t 978. Horst Königstein hat jede Menge DDR-Folklore eingebaut, ohne das Stück mit realsozialistischen Klamotten zu überfrachten. "Manni von der Konkret- Diskothek" legt im Jugendclub die DDR- Version von "Saturday Night Fever" auf, die Mädchen in dieser Ostalgie-Revue tragen ungarische Jeans. Die Sekretärin vom Labor 2 braut gern "noch ein paar Täßchen Mokkafix" und duftet nach "Tosca" aus dem Intershop.

DER SPIEGEL 9/1998, Seite 220

Zuletzt verändert: Donnerstag, 26. August 1999 von Axel Krägelius